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③ Siedlungsformen, Gemarkungsgröße

Die Angaben über die Orts- und Flurformen gestatten es, eine Siedlung ungefähr in den zeitlichen Ablauf der Besiedlung einzuordnen und geben gemeinsam mit der Größe der Gemarkung eine Vorstellung vom Umfang der Flur. 

Die Angaben über die Orts- und Flurformen gestatten es, eine Siedlung ungefähr in den zeitlichen Ablauf der Besiedlung einzuordnen und gegebenenfalls Rückschlüsse auf ihr Alter zu ziehen. 

Bei der Typisierung der Formen wurden die Erkenntnisse der Leipziger siedlungsgeschichtlichen Schule von Rudolf Kötzschke zugrunde gelegt. Als Quellen für die Festlegung der Siedlungsformen dienten die Flurkrokis der ersten durchgehenden Katastervermessung in Sachsen in den Jahren 1835 bis 1841, die im Original zumeist noch in den ehemaligen Katasterämtern (heute in den Staatlichen und Städtischen Vermessungsämtern) aufbewahrt werden und in Kopie in den Flurnamenverzeichnissen im Sächsischen Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden überliefert sind. 

Die Zuordnung geht von der quellenmäßig nicht beweisbaren Annahme aus, dass die vor der Mitte des 19. Jahrhunderts angefertigten Flurkarten die Ortsgrundrisse und die Fluraufteilung etwa in der gleichen Weise wiedergeben, wie sie bei der Anlage der Dörfer im Mittelalter zustande gekommen und seitdem in den Grundzügen eher selten verändert worden sind. Unter dieser Voraussetzung ermöglicht die Bildung von Typen der Orts- und der Flurformen eine zeitliche Einordnung und grundlegende Erkenntnisse über den Gang der Besiedlung von der slawischen Landnahme im 7./8. Jahrhundert über die deutsche Ostsiedlung des 12./13. Jahrhunderts bis zu den Ausbausiedlungen der Frühen Neuzeit.

Unter den Flurformen sind die Blockfluren der slawischen Besiedlung zuzuschreiben, die in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends die Offenlandschaften des von den germanischen Hermunduren verlassenen Gebietes an Saale und Elbe überzog. 

Die Block- und Streifenfluren lassen sich als Folge regulierender Eingriffe unter dem Einfluss der deutschen Flurverfassung nach der deutschen Eroberung des 10. Jahrhunderts erklären. 

Die Blockgewannflur kann als Übergangstyp aus der Frühzeit der deutschen Ostsiedlung des hohen Mittelalters angesehen werden. 

Die Gewannfluren verdanken ihre Entstehung der Rodung weiter Waldflächen im nordsächsischen Flachland, wo eine sehr regelmäßige Flureinteilung auf dem ebenen Gelände leicht möglich war. 

Die Gelängeflur kam zustande, als die Besiedlung in das wellige Vorland des Gebirges vordrang und die Fluraufteilung an das stärkere Bodenrelief angepasst werden musste. Sie war ebenso wie die Gewannflur die allgemein angewandte Flurform im 12. Jahrhundert. 

Die Waldhufenflur entstand durch Anpassung des Rodungsvorgangs an die tiefer eingeschnittenen Täler des Berglandes im späten 12. und im 13. Jahrhundert. 

Die Waldstreifenflur ist eine davon abgeleitete, etwas später anzusetzende Kümmerform. 

Parzellenfluren sind bei den kleinen Ausbausiedlungen des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit anzutreffen, die nicht mehr von der bäuerlichen Arbeit geprägt waren, sondern von gewerblich tätigen Menschen mit einem nur geringen Bedarf an Grundbesitz angelegt wurden. 

Gutsblockfluren sind entweder durch großzügige Landausstattung von Herrengütern in der Ostsiedlungszeit oder durch den gezielten Aufbau von herrschaftlichen Großgütern durch Bauernlegen in der Frühen Neuzeit entstanden. 

Gegenüber den Flurformen ist es für die vielgestaltigen Ortsformen schwieriger, sie systematisch mit dem Ablauf der Besiedlung zu verbinden. 

Im Allgemeinen gehören die weilerartigen Dorfformen der slawischen Besiedlung des letzten Drittels des ersten Jahrtausends an. 

Die Sackgassendörfer lassen sich als Erweiterung von Weilern durch Bebauung des Zufahrtsweges erklären. 

Die Gassendörfer werden der Übergangsperiode von der selbständigen spätslawischen Besiedlung zur deutschen Ostsiedlung etwa im 11. Jahrhundert zugerechnet. 

Die Straßendörfer, die Straßenangerdörfer und die Platzdörfer treten im Verbreitungsgebiet der Gewann- und der Gelängefluren auf und gehören mit diesen in die gleiche Epoche der deutschen Ostsiedlung des 12. Jahrhunderts. 

Die Waldhufendörfer sind in der Gestaltungseinheit von Flur- und Ortsformen zu verstehen, die sich beide aus der geländebedingten Entstehung dieser Form ergeben. Die gelegentlich auftretende Bezeichnung als Reihendorf hat sich nicht allgemein durchgesetzt. 

Streusiedlungen, Häuslergruppen, Häuslerzeilen und Häuslerreihen entstanden während des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Landesausbaus als Kleinformen mit einem gegenüber den mittelalterlichen Bauerndörfern deutlich abgesetzten sozialen Erscheinungsbild.

Gutssiedlungen bestehen aus einem herrschaftlichen Großgut mit Landarbeiterhäusern, die oft als Drescherhäuser bezeichnet werden, weil ihre Bewohner in den Getreideanbaugebieten der Ebene zu Drescherdiensten verpflichtet waren. 

Das Einzelgut besitzt als agrarischer Großbetrieb außer den herrschaftlichen Wohngebäuden und dem Wirtschaftshof keine weiteren Siedlungsteile. Es tritt gehäuft in den Getreideanbaugebieten der nordsächsischen Ebene und in der Oberlausitz auf. 

Seit der Frühen Neuzeit bildeten sich aus Werkgebäuden der Metall- und der Textilverarbeitung kleinere Werkweiler mit wenigen Nebengebäuden, durch Ansiedlung von Arbeiterhäusern größere Werksiedlungen

Stadtanlagen beruhen – gegenüber den auf bäuerliche Arbeit eingestellten Orts- und Flurformen der Dörfer – auf völlig anderen wirtschaftlichen und funktionalen Grundlagen. Städte entwickelten sich in einer rein landwirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaft (Agrargesellschaft) als Fremdkörper an den Knotenpunkten des hochmittelalterlichen Fernverkehrs als Orte des Warenaustausches und der beginnenden Geldwirtschaft. Da Handwerker mit ihrer handwerklichen Warenproduktion und Kaufleute nicht auf die Nutzung von Grund und Boden als Produktionsmittel angewiesen waren, strebten sie die Befreiung aus dem allgemein geltenden System der Feudalordnung an, schlossen sich zu genossenschaftlich aufgebauten Stadtgemeinden unter Leitung gewählter Stadträte zusammen und stellten gegenüber einer Welt der Grundherrschaft und des herrschaftlich geprägten Landrechts Freiräume der Selbstverwaltung und des Stadtrechts dar. Diese neue Lebens-, Wirtschafts- und Rechtsform brachte auch eine neue Form der Siedlung zustande. Da die Handwerker und Kaufleute als Grundlage ihres wirtschaftlichen Daseins keine Äcker, Ställe und Scheunen, sondern nur ihre Häuser brauchten, rückten diese Wand an Wand zusammen, bildeten geschlossene Straßenzüge und wuchsen auf engem Raum zu gedrängten Gebilden zusammen. 

Das geschah zunächst im Zuge eines freien, spontanen Wachstums entsprechend den aufkommenden Bedürfnissen, wurde aber bald durch bewusste Planung in streng geordnete Formen eingebunden. Die im 12. und frühen 13. Jahrhundert in Sachsen aufgekommenen Städte sind in ihren Anfängen in einem Vorgang des freien Wachstums „entstanden“, in den bald Elemente der rationalen Planung eingebaut wurden, bis schließlich auch eine Stadt von Anfang an auf einem vorgedachten Grundriss „gegründet“ wurde. Das wohlbekannte schachbrettartige Normalschema der Gründungsstadt des deutschen Ostens ist die klassisch gewordene Siedlungsform der mittelalterlichen Stadt, die allerdings längst nicht in allen Fällen anzutreffen ist. 

Bei der Kennzeichnung der Stadtgrundrisse muss daher auf unregelmäßige Stadtanlagen hingewiesen werden, bei denen kein Ordnungsprinzip zu erkennen ist, so dass hier mit einem längeren organischen Wachstum zu rechnen ist, das sich oft im Anschluss an eine Burg oder aus einer im Siedelbild noch erkennbaren dörflichen Siedlung entwickelte.  

Eine planmäßige Stadtanlage kam zustande, wenn im Grundriss der Einfluss eines planenden Geistes festzustellen ist, was auf eine verhältnismäßig kurze Periode der Stadtwerdung schließen lässt. 

Von einer regelmäßigen Stadtanlage ist dann zu sprechen, wenn die Stadt nach dem ostdeutschen Schachbrettmuster angelegt ist und ihre Entstehung folglich auf den bewussten Akt einer Stadtgründung zurückgeht. 

Auf diese Weise wird versucht, ebenso wie bei den dörflichen Flur- und Ortsformen aus dem Stadtgrundriss gewisse Schlüsse auf die Entstehungsvorgänge einer Stadt zu ziehen. Daraus ergibt sich die Folgerung, den Begriff der Stadtgründung nur mit größter Vorsicht anzuwenden und in Anpassung an die Wirklichkeit besser von Stadtentstehung zu sprechen. Wenn sich eine Stadt deutlich erkennbar aus einer ursprünglichen Dorfanlage erst nachträglich entwickelt hat, dann wird dies vermerkt.

Die Angaben über die Größe der Gemarkung eines Ortes dienen dazu, eine Vorstellung vom Umfang der Flur zu geben, da sich aus diesen Werten Erkenntnisse über die Stellung des Ortes im Besiedlungsvorgang ergeben können. Der Unterschied zwischen den Kleinformen der sorbischen Siedlungszeit mit Flurgrößen, die bis in den Bereich von 50 Hektar hinunter gehen, und den Waldhufendörfern des Gebirgslandes mit Werten bis zu 2000 Hektar bietet schon vom Zahlenvergleich her bemerkenswerte Unterschiede im Ablauf der Besiedlung, macht aber auch landschaftliche Verschiedenheiten in der Agrarstruktur deutlich und gibt den Blick auf einen wesentlichen Sachverhalt der geschichtlichen Landeskunde Sachsens frei. Bei einem Vergleich dieser Art ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass die vorliegenden Größenangaben fast durchgängig aus der Zeit um 1900 stammen und jüngere Veränderungen wie beispielsweise Flurzusammenlegungen und Überformungen ältere Verhältnisse überlagert haben können.