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Vorwort der Ausgabe von 1957

Das Historische Ortsverzeichnis von Sachsen ist ein Bestandsverzeichnis aller in siedlungs- oder verfassungsmäßiger Hinsicht selbständigen Siedlungen, die auf dem Boden des Landes Sachsen bestehen oder bestanden haben, wobei der Gebietsstand in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugrunde gelegt worden ist (Königreich/Freistaat Sachsen mit Restschlesien westlich der Neiße). Es gliedert sich in einen größeren Zusammenhang landesgeschichtlicher Arbeitsvorhaben ein.

Nach vorangegangenen Anregungen, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen1, beauftragte der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine auf seiner Versammlung in Straßburg im Jahre 1899 eine Kommission mit der Ausarbeitung eines einheitlichen Schemas für die Abfassung historischer Ortschaftsverzeichnisse. Ergebnis dieser Kommissionsarbeit waren die „Vorschläge für die Ausarbeitung historischer Ortschaftsverzeichnisse“, die von der Generalversammlung des Gesamtvereins in Dresden im Jahre 1900 angenommen wurden2.

In Sachsen wurden die historisch-geographischen Bestrebungen der deutschen Landesgeschichte vor allem von Hans Beschorner aufgegriffen, der im Jahre 1900 auf „Stand und Aufgaben der historischen Topographie in Sachsen“ hinwies3 und im Auftrage der Sächsischen Kommission für Geschichte eine „Denkschrift über die Herstellung eines Historischen Ortsverzeichnisses für das Königreich Sachsen“ verfaßte4. Im Dezember 1900 hatte die Geschichtskommission die Herstellung eines solchen Verzeichnisses beschlossen.

Die Bearbeitung des Ortsverzeichnisses, dessen nachhaltige Förderung sich Rudolf Kötzschke bis zu seinem Tode im Jahre 1949 hat angelegen sein lassen, wurde im Jahre 1904 Alfred Meiche übertragen, der über die Absicht der Geschichtskommission weit hinausging, die Notizen über jeden Ort zu einer kleinen Ortsgeschichte ausweitete und im Jahre 1927 als Ergebnis seiner Arbeit die „Historischtopographische Beschreibung der Amtshauptmannschaft Pirna“ (Dresden, 397 Seiten) veröffentlichte. Das Werk war und bleibt eine ausgezeichnete Leistung, zeigt jedoch andererseits, daß sich in diesem breiten Stil ein Historisches Ortsverzeichnis von ganz Sachsen nicht herausbringen läßt. Die von Meiches Mitarbeiter Otto Mörtzsch stammende „Historisch-topographische Beschreibung der Amtshauptmannschaft Großenhain“ (Dresden 1935, 94 Seiten) löste die Aufgabe bedeutend knapper, konnte aber in der Breite ihrer Anlage ebenfalls nicht zum Vorbild eines Ortsverzeichnisses für das ganze Land werden.

Während somit die veröffentlichten Ergebnisse der Arbeiten zum Historischen Ortsverzeichnis von Sachsen hinter den Absichten der Geschichtskommission zurückgeblieben waren, hinterließen die früheren Bearbeiter, unter denen in den 30er Jahren besonders Johannes Leipoldt zu nennen ist, in Gestalt von 82 Zettelkästen mit rund 100 000 Zetteln eine bleibende Frucht ihrer Tätigkeit, auf der die erneute Bearbeitung aufbauen konnte.

Diese begann auf Anregung von Prof. Dr. Ludwig Erich Schmitt, Leipzig, im Oktober 1951 im Rahmen der Historischen Kommission des Landes Sachsen. Seit dem Frühjahr 1953 wurde die Arbeit als Forschungsauftrag des Staatssekretariats für Hochschulwesen bis zum Ende geführt.

Hatte für die früheren Bearbeiter das Schwergewicht auf Mittelalter und früher Neuzeit gelegen, so wurde nunmehr die gesamte Neuzeit stärker berücksichtigt, weil sich außer der Auswertung des älteren Zettelmaterials noch die Durcharbeitung größerer Quellengruppen notwendig machte.

Das vorliegende Werk konnte in der Fülle seines Inhalts nicht das Ergebnis der Tätigkeit eines einzelnen Bearbeiters sein. Herr Prof. Dr. Hans Beschorner † stellte in entgegenkommendster Weise das nahezu abgeschlossene Manuskript seines Wüstungsverzeichnisses von Sachsen zur Verfügung. Herr Dr. Harald Schieckel, Dresden, überließ als noch unveröffentlichte Ergebnisse eigener Quellenforschungen die Angaben über die mittelalterlichen Herrensitze. Für wertvolle Hinweise und Quellenmaterial danke ich weiterhin Herrn Dr. Hermann Löscher, Dresden, Herrn Stadtarchivar Walter Haupt, Görlitz, Herrn Domkapitular Dr. Hötzel, Bautzen, der Bibliothek der ehemaligen Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz, dem Staatszentralarchiv zu Prag und dem Landeshauptarchiv Magdeburg. Dem Direktor des Sächsischen Landeshauptarchivs, Herrn Prof. Dr. Hellmut Kretzschmar, dankt das Ortsverzeichnis unbegrenztes Entgegenkommen und Förderung in jeder Hinsicht. Meine Mitarbeiter, Herr Walther Göring und Fräulein Christa Schille, haben für das Zustandekommen des Werkes unentbehrliche Dienste geleistet. Das Staatssekretariat für Hochschulwesen und die Historische Kommission des Landes Sachsen haben durch Finanzierung der Arbeit und Gewährung von Druckkostenzuschüssen sein Erscheinen überhaupt erst ermöglicht.

Das Historische Ortsverzeichnis von Sachsen kann nicht alle Ansprüche befriedigen, die der Benützer stellen möchte. Es muß sich im Widerspruch zwischen dem Streben nach breiter Gründlichkeit und den Grenzen, die Zeit und Arbeitskraft setzen, mit der vorliegenden Lösung begnügen. Es wurde besonders für die Punkte 4, 5, 6 und 7 des Schemas angestrebt, für gewisse Stichjahre oder engere Zeiträume vollständige Querschnitte durch das ganze Land zu geben, anstatt nach dem Zufall der Überlieferung für jeden Ort die entsprechende Längsschnittentwicklung darzustellen, was Vergleiche erschweren würde. So ist versucht worden, das Ortsverzeichnis zu einem Hilfsmittel der landesgeschichtlichen Forschung von einheitlichem Wesen zu machen und eine Auflösung in beziehungslos nebeneinanderstehende Ortsartikel zu vermeiden. Dennoch bringt es naturgemäß eine analytische Behandlung des Stoffes, die als Grundlage einer zusammenfassenden Überschau in Gestalt einer historischen Landeskunde oder eines historischen Atlasses dienen kann.

Die vieltausend statistischen Angaben werden nicht ohne Fehler, Mängel und Lücken geblieben sein. Berichtigende und ergänzende Mitteilungen aus dem Kreise der Benutzer mit Nennung der Quellen sind daher jederzeit willkommen.

Karlheinz Blaschke

Sächsisches Landeshauptarchiv 
Dresden N 6, Archivstr. 14


 

  1. M. Vancsa, Historische Topographie mit besonderer Berücksichtigung Niederösterreichs, in: Deutsche Geschichtsblätter III (1902), S. 97ff.
  2.  Korrespondenzblatt 48 (1900), S. 178ff.; auch: Deutsche Geschichtsblätter II (1901), S. 92ff.
  3. Neues Archiv für sächsische Geschichte 21 (1900), S. 138ff.
  4. gedruckt Dresden 1903.